Zurück zur Betriebsanleitung!
Wie leben wir zusammen als Muslime, Juden,
Buddhistinnen und Christinnen?
Tamar Krieger, Jüdin, und Sakib Halilovic, Imam, erzählen
von ihren ersten Glaubens-Erinnerungen.
Über 70 Personen teilten am vergangenen Samstag, den 12. Januar 2019, in Goldau SZ beim 34. Sozialtag der KAB Schweiz Geschichten aus ihrem Glauben. Die vom sozialethischen Institut «ethik22» organisierte Tagung brachte Menschen mit muslimischem, buddhistischem, jüdischem, protestantischem und katholischem Glauben zusammen. Für das Zusammenleben der Menschen lohnt es sich, zurück zur Betriebsanleitung zu gehen. Jede Religion kennt diese.
Gedanken des ehemaligen Chef-Rabbiners des Britischen Commonwealth Jonathan Sacks haben die Gespräche angeregt und begleitet. Angesichts der Globalisierung, die viele Menschen verunsichert betont Sacks die Chancen der Religionen und ihrer Mitglieder: „Wir können heilen oder schaden, reparieren oder vernichten. Der Einsatz war noch nie so hoch und die Entscheidung liegt bei uns.“ Rabbiner Sacks rät, dass es sich in solchen Zeiten, wenn man nicht mehr weiter weiss, lohnt, zur „Betriebsanleitung“ zu greifen. Dies war auch das Ziel der Tagung: die „Betriebsanleitung“ für das Zusammenleben in der Einzigartigkeit und Echtheit religiöser Menschen zu entdecken.
Wie zusammenleben
Der Tag begann darum nicht mit Lehrsätzen, sondern mit der Frage nach den ersten Erinnerungen an den eigenen Glauben. Die konkreten Geschichten, wie Menschen ihren Glauben leben, Ausgrenzung erfahren und damit umgehen (link), geben Hinweise, wie wir mit der menschlichen Vielfalt in unserer Gesellschaft umgehen können. Dies zeigte die Tagung eindrücklich: Glauben ist in eine vieldimensionale Identität eingebettet. Es gibt untrennbare Verbindungen zwischen Kultur, Politik und Religion. Dies führt zu grosser Verschiedenheit gerade auch innerhalb von Glaubensgemeinschaften. Überraschenderweise sind es aber genau diese ganz einzigartigen und vielfältigen Erfahrungen von Menschen, die uns die Angst vor dem Fremden nehmen und uns Menschen als Menschen nahe bringen können.
Unser Zusammenleben hängt darum davon ab, ob es uns gelingt als Individuen und Gesellschaften die Einzigartigkeiten unserer vielfältigen Identitäten zu pflegen. Denn in diesen farbigen, vielfältigen Geschichten können wir einander echt begegnen, während eine Haltung, die alles gleich sieht und relativiert, Menschen, Religionen und Kulturen letztlich „flach“, „eintönig“ und „langweilig“ und damit auch bedrohlich macht.
Gutes tun!
Die Kernelemente der „Betriebsleitung“ für das Zusammenleben aller zeigten sich auch in den Geschichten der unterschiedlichen Glaubenspraxis der Gäste und Teilnehmenden: Wir müssen Gutes für andere tun. Wir tragen Sorge für Gemeinschaften und schaffen so Zugehörigkeit. Durch das Erzählen und Teilen von Lebens-, Glaubens- und Ausgrenzungsgeschichten können und dürfen wir Vertrauensbeziehungen auch mit Menschen, die uns fremd sind, aufbauen.
Glauben im Alltag - Zitate der Teilnehmenden und Gäste
„Mein Vater war Imam und hat mir erklärt: Zuerst sind wir Albaner, denn dies können wir nicht ändern. Als zweites sind wir Muslime, dies ist eine Entscheidung. Als Imam hat er mich immer gelehrt und vorgelebt, wie wir alle Menschen als gleichwertig behandeln müssen. So sagte er zu mir: „Fati, wenn es dir nicht gut, kannst du in alle Gotteshäuser gehen und beten.“
„Für mich als Jüdin ist das Wichtigste die Gemeinschaft, das Feiern und gemeinsame Essen mit der Familie. Zuerst bin ich Schweizerin, dann Jüdin und dann Israelin weil meine Mutter stammt von dort. Mit der Politik von Israel bin ich allerdings nicht einverstanden.“
„Wenn wir auf der Strasse singen oder als Heilsarmee erkennbar sind, erlebe ich, dass sich die Leute über uns/mich ärgern und missfallen ausdrücken. Seinen Glauben offen zu bekennen wird schnell als evangelisieren im Sinne von Diskriminierung von anders Gläubigen interpretiert.„
„Mein Vater hat mich nach draussen gerufen und mich dann eingeladen, das Gras wachsen zu hören. Dies ist der Ursprung meiner Neugierde, die mich schliesslich zum katholischen Theologen gemacht hat.“
„Ich bin zuerst Mensch, dann Schweizer, dann Muslim, als nächstes kommt meine Rolle als Imam und zuletzt bin ich Bosnier. So kann ich es überhaupt nicht verstehen, wie jemand andere Menschen im Namen Gottes töten kann. Dies macht mich zornig und tut mir echt weh!“
„Beten, beten, beten ist für mich wichtig. Ich lerne so Geduld für die Lebens-schwierigkeiten, die ich in Tibet wegen China und hier in der Schweiz als Flüchtling habe. Auf diese Weise kann ich auf das Ziel meines Glaubens hin arbeiten, meinen Verstand und meine Seele zu zähmen.“
Gäste: Dhundup Tsering Karmatsang (Tibetischer Buddhist, Mönch), Degkyi Sonam (Tibetische Buddhistin), Tendol Yourogongsang (Tibetische Buddhistin), Tamar Krieger (Jüdin), Sakib Halilovic (Muslim, Imam), Paul Mori (Heilsarmee), Fatmire Panxhaj (Muslimin), Thomas Wallimann-Sasaki (Leiter ethik22, Katholik)
15. Januar 2018
Team ethik22: Christina Sasaki, Jonas Sagelsdorff, Thomas Wallimann